Trail and Error

Einleitung

Die Beobachtungen aus meiner Praxis haben bislang im Wesentlichen eines ergeben: Die Erfolgsquote von Trailern, sind sie auf sich alleine gestellt, sieht in Wirklichkeit relativ traurig aus.

Alle diejenigen, die neu bei der Sache dabei sind, können froh sein, sofern der Hund überhaupt den Eindruck erweckt, er würde jemanden suchen.

Diejenigen, die schon länger dabei sind, verfolgen oft ein falsches Trainingsschema. Sie werden meist von jemandem begleitet, der den exakten Verlauf der Strecke kennt und dies unbewusst durch seine Körpersprache signalisiert (Kluger Hans-Effekt).

Die meisten Ausbilder zieren sich, ihr Können mit den eigenen Hunden vorzuzeigen und haben dafür oftmals brauchbare Ausreden parat, etwa, ihr Hund sei schon zu alt, ihr Hund sei gerade nicht gut drauf etc. etc. Oder sie berufen sich auf ihre jahrelange Praxis, die aber oftmals, weil jahrelang vielleicht lange Jahre her ist, nicht verifizierbar ist.

Wen immer man aber aus oben genannten Gruppen heranzieht und ihn mit einem Trail konfrontiert, den er nicht kennt, der versagt in der Regel, sobald man ihn und seinen Hund sich selbst überlässt und ihn einfach auf die Suche schickt.

Ich bin nun selber bereits eine ganze Weile dabei, habe viele Seminare gehalten, ein Buch über die Trailerei veröffentlicht, und war stets darum bemüht, mehr und mehr Fakten darüber zusammenzutragen, wie die Hunde das eigentlich machen.

Die wesentlichen Fragen konzentrieren sich eigentlich auf folgende Bereiche:

  • A: Warum macht der Hund das überhaupt?
  • B: Was motiviert den Hund, was fördert bei vielen Hunden derartige Begeisterung zutage?
  • C: Wie gelingt es dem Hund festzustellen, in welche Richtung ein Mensch gegangen ist?
  • D: Wo sind die Grenzen der Hunde? Ab welchem Alter der Spur „geht nichts mehr“?
  • E: Welcher Bestandteil des menschlichen Individualgeruchs ist es, an dem sich die Hunde tatsächlich orientieren?
  • F: Inwieweit wird der Hund bei der Suche vom Menschen beeinflusst?

These

Bei Punkt A bis F handelt es sich um Fragen, welche durch derzeit vorliegende Forschungsergebnisse entweder vollständig oder zumindest zum Teil beantwortet werden können.

Glauben oder Wissen

Natürlich sagen die einen oder anderen Ergebnisse wissenschaftlicher Studien nicht allen zu. Dies betrifft natürlich in erster Linie jene so genannten, oft selbsternannten Koriphäen der Gilde, die evt. Widersprüche zu den von ihnen verbreiteten Lehren wittern.

Aber das betrifft auch diejenigen, die mit ihrem Hund einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachgehen möchten, stolz auf sich und die Leistung des eigenen Vierbeiners sind und ganz und gar nicht wahrhaben wollen, dass sie einer Illusion aufsitzen.

Wenngleich euch diese Einleitung nun etwas zäh erscheinen könnte, bitte ich euch, sie trotzdemganz zu lesen, denn sie ist notwendig, um den Rest, der wirklich spannend wird, zu verstehen.

Vor allem aber betrifft es all diejenigen, die gutgläubig und unreflektiert alles von denjenigen Personen annehmen, die sich Trainer, Ausbilder oder Instruktor nennen. Hat jemand auch noch ein Buch darüber geschrieben, nähert er sich bereits der päpstlichen Unfehlbarkeit an. (Persönliche Anmerkung: In meinem Fall bitte ich sogar um fleißige Anzweiflung. Papier ist geduldig, und ein Buch stellt lediglich einen Snapshot des zur Zeit der Drucklegung für den Autor gültigen Wissens und seiner damaligen Ansichten dar. Nur der Zweifel und das kritische Hinterfragen regen Autoren oder Forscher dazu an, sich noch näher mit der Materie zu befassen, um weitere Fakten ans Licht zu bringen.)

Es ist natürlich sehr schwierig für einen frischgebackenen Hundebesitzer, der sich mit seinem Hund in eine neue Disziplin wagt, Seminare besucht, Bücher liest etc., zu beurteilen, was Quatsch ist und was Hand und Fuß hat. Freilich geht man in erster Linie mal davon aus, dass die Person, die ein Seminar abhält, vielleicht auch noch ein Lehrbuch verfasst hat, auch eine Ahnung davon hat, was sie da zum Besten gibt. Schließlich zahlt man ja auch dafür. Und diese Person selbst ist oftmals auch davon überzeugt, dass dem so ist.

Nicht zu vernachlässigen ist auch der Effekt der Einbindung in einen neuen sozialen Verband, oder neudeutsch ausgedrückt in ein "social network", das sich als Hundesportverein, Fangruppe einer Ausbildungsorganisation, Rettungshundeorganisation bis hin zur kleinen privaten Trainingsgruppe sowohl im analogen als auch im digitalen Leben à la Facebook, Twitter etc. manifestiert.

Und dann kommt noch der Ansporn, besser als die anderen sein zu wollen, dann kommt natürlich auch das Bedürfnis, sich selbst unbedingt einreden zu wollen (und gegenüber dem Partner, Freunden und Kollegen auch zu müssen), dass das letzte Seminar unglaublich viel gebracht hat, auch wenn man in seinem Tiefsten und Innersten gar nicht so recht daran glauben mag. Aber wie Goethe schon trefflich feststellte, ist man in diesem Tiefsten und Innersten ja namenlos alleine, und wer will das schon sein.

Somit ist der Mensch höchst willig, entgegen seiner ureigenen (heimlichen) Zweifel – zu glauben.

Wir unterbrechen diesen Artikel für eine kurze Werbeeinschaltung und bitten alle Leser, während der sinnlosen Commercials in sich zu gehen und mit sich und ihrem Tiefsten und Innersten ins Reine zu kommen, bevor sie weiterlesen.

Nach der kurzen Werbeunterbrechung ist es also an der Zeit, sofern wir die Zeit der Werbeeinschaltung dazu genutzt haben, mit unserem Tiefsten und Innersten ins Reine zu kommen, in uns zu gehen und uns selbst zu fragen, wie oft es uns tatsächlich schon gelungen ist, mit unserem Hund über eine gewisse Distanz, sagen wir mal 1.000 bis 1.500 Meter nach mehr als 24 Stunden, einen Trail erfolgreich zu verfolgen, wenn uns niemand begleitet hat, der auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, wo es wirklich lang geht. (Und dabei sollte uns bewusst sein, dass 1 bis 1,5 km für den Fall einer vermissten Person nicht wirklich eine große Sache sind.)

Wenn nun alle ehrlich zu sich selber waren, sollten wir nun so ein Verhältnis von etwa 80% zu 20% vorfinden, wobei die 80% zugeben, das noch nie geschafft zu haben, und die 20% mit dem Brustton der Überzeugung auf ihre erfolgreichen Suchen in der Praxis verweisen.

Damit wären wir also nun exakt an jenem Punkt, auf den ich mit euch hin will. Diejenigen, die den 80% angehören, sind angehalten, zum eigenen Informationsgewinn weiterzulesen. Denjenigen, die den elitären 20% angehören, sei angeraten, sich davon einmal loszulösen und die ganze Sache aus einer objektiven Perspektive heraus zu betrachten.

Kommen wir wieder auf oben genannte Punkte A bis F, und beginnen wir mit dem ersten Punkt.

Warum macht der Hund das überhaupt?

Generell macht er das gar nicht. Würde er das generell machen, bräuchte ja niemand ein Seminar zu besuchen, um die hohe Kunst der Trailens zu erlernen. Caniden haben bestenfalls eine Beziehung zu ihrem / ihren eigenen Menschen, nicht aber zu unbekannten Personen. Menschen sind für Hunde nicht einmal als Nahrung erwünscht / geeignet / politisch korrekt, kurz, wir Menschen fallen auch nicht in ihr natürliches Beuteschema.

Was motiviert ihn, was fördert bei vielen Hunden derartige Begeisterung zutage?

Dazu gibt es viele Meinungen. Die esoterischste lautet wohl: Weil er uns so lieb hat, dass er es für uns tut. Es gibt aber noch weitere, eher fundierte, die da sagen: Es ist der Beutetrieb, der Hund wird ja darüber aufgebaut. Oder die Neugierde – es sei dahingestellt, ob dieser Erkundungsdrang notfalls auch über Stunden anhält –, oder die Unterordnung, weil der Hund es ja gewohnt ist, die Anordnungen seines Menschen zu befolgen, oder die Opferbindung, also eine Bindung gegenüber der gesamten Spezies homo sapiens, die man ihm anzuerziehen versucht hat. Andere Ansichten gehen vom reinen Opportunismus des Hundes aus, nach dem Motto: Mache ich das, krieg ich was. Manchmal könnte auch der Fall sein, dass der Hund sich einfach freut, dass irgendetwas, egal was, mit ihm gemacht wird. Ich könnte diese Liste noch unendlich fortsetzen. Fakt aber ist, man weiß es nicht.

Wie gelingt es dem Hund festzustellen, in welche Richtung ein Mensch gegangen ist?

Hierzu gibt es Studien, von Hepper, Wells [1] sowie Willson und Steel [2]. Was besagte Studien allerdings offenlassen: Wie alt darf die Spur sein, damit der Hund die Laufrichtung noch feststellen kann?. Hunde können innerhalb von 3 bis 5 menschlichen Schritten feststellen, in welche Richtung der Mensch, den es zu suchen gibt, gelaufen ist. Das entspricht ungefähr einem Zeitfenster von ca. 2 Sekunden. Zurückgeführt wird diese Fähigkeit darauf, dass der menschliche Geruch, sobald er vom Körper emittiert wurde, sich aufgrund der Einflüsse von Mikroorganismen ständig verändert.

Untersuchungen haben die Veränderung des menschlichen Geruches über die Zeit ebenso bestätigt [3] wie auch die absolute Eindeutigkeit des Individualgeruchs [4].

Nun müssten wir uns folglich die nächste Frage stellen: Wie lange ist im absorbierten Geruch noch genügend Information enthalten, um es dem Hund zu ermöglichen

  • a.) die Laufrichtung noch korrekt festzustellen
  • b.) den Geruch noch einem spezifischen Individuum zuordnen zu können.

Wo sind die Grenzen der Hunde? Ab welchem Alter der Spur „geht nichts mehr“?

In diesem Punkt gehen die Meinungen weit auseinander. Um die Extreme zu nennen: Eine nicht unbekannte deutsche Trailerin gibt an, sie könnte mit ihren Hunden noch nach Monaten die Spur von Personen verfolgen, welche in einem Auto auf einer Berliner Stadtautobahn unterwegs waren. Ein ebenfalls nicht unbekannter Vertreter der deutschen Suchhundeszene attestiert dem Mantrailing durchaus seine Berechtigung, betont aber, dass ihm noch niemals ein Team untergekommen sei, welches in der Lage gewesen wäre, eine Spur, die älter als 5 Stunden war, zu verfolgen und die vermisste Person zu finden.

Irgendwo dazwischen dürfte die Wahrheit liegen. Aber wo?

Ich möchte mich zuerst nur auf das Alter der Spur beschränken, um Eingrenzungen zu treffen. Das sollte jedoch nicht das einzige Kriterium sein. Was hier bis auf Weiteres vernachlässigt wird, sind Faktoren wie Wetter und Temperatur, Alter und Rasse des Hundes und Geschlecht und Lebensalter der Person, welche es zu suchen gilt, also Kind, Mann, Frau oder Greis, da zusätzlich zu beachten ist, dass Kinder noch kaum apokrinen Schweiß absondern und sich der Schweiß von Frauen wiederum grundlegend von dem der Männer unterscheidet.

Hepper und Wells machen leider keine exakten Angaben dazu, wie viel Zeit vergangen ist, nachdem die Spur gelegt wurde und der Hund darauf angesetzt wurde. Aber nehmen wir einmal an, es handelt sich um einen Wert von 10 Minuten. Also 10 Minuten, nachdem die Spur gelegt worden war, wurde der Hund angesetzt. Was sie jedoch herausfinden konnten, ist, dass der Hund ein Zeitfenster von etwa 2 Sekunden benötigt, um die Laufrichtung korrekt zu ermitteln. Der menschliche Geruch verändert sich also in den 2 Sekunden, die ein Mensch braucht, um ein paar Schritte zu gehen, soweit, dass der Hund in der Lage ist, den Unterschied zwischen „älterer“ und „jüngerer“ Spur festzustellen.

Die angenommenen 10 Minuten entsprechen also 600 Sekunden, also handelt es sich hier um ein Verhältnis von 1:300. Lassen wir nun einen Tag mit seinen 86.400 Sekunden vergehen, kommen wir auf ein Verhältnis von 1:43.200, was nun dem 144-fachem des vorigen Verhältnisses entspricht. Gingen wir nun von einer linearen Entwicklung aus, würde das bedeuten, der Hund würde nun nicht mehr nur 5 Menschenschritte benötigen, sondern das 144–fache, demnach 720 Schritte, was einer Distanz von etwa einem halben Kilometer entspräche.

Lineare Entwicklungen sind für diesen Fall nun mehr als unwahrscheinlich, und dieses Beispiel ist natürlich völlig überzogen. Es soll aber zeigen, worauf ich hinaus will.

Aus der Praxis wissen wir, dass der Hund bei älteren Spuren mehr Strecke absuchen muss, um die Laufrichtung festzustellen, irgendwo ist hier also eine Grenze.

Wir wissen aber auch, dass der Effekt der geruchlichen Veränderungen auf die Tätigkeit von Mikroorganismen zurückzuführen ist, welche sich in großer Anzahl im Schweiß und auf den verlorenen Hautzellen befinden. Nur – irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, da gibt es nichts mehr zu riechen, zumindest nichts mehr, was dem Einfluss von Mikroorganismen unterliegt. Blieben in diesem Fall also nur mehr Komponenten, welche robust genug sind, um den Einflüssen biologischer und anderer Störfaktoren zu widerstehen, wie z.B. kohlenwasserstoffbasierte, Pheromonen ähnliche Substanzen, also jene Sexualduftstoffe, die erwachsene Menschen absondern. Wenn diese Stoffe jedoch nicht dem zeitlichen Verfall unterliegen, dann lässt das den Umkehrschluss zu, dass sich aus ihrer Existenz auch keine Laufrichtung nachweisen lässt. Und somit hätten wir, vom definierten Zeitpunkt t mal abgesehen, den Beweis erbracht, dass es dem Hund zu diesem unbekannten Zeitpunkt t nicht mehr möglich sein kann, die Laufrichtung festzustellen. Er kann zwar evt. noch feststellen, dass der Geruch der vermissten Person an einer bestimmten Stelle vorhanden ist, aber nicht mehr in welchem Maße und von wo die Person kam bzw. wohin sie ging.

Ab diesem Zeitpunkt t wird jeglicher Versuch, eine Person in einem Gebiet zu finden, in welchem sie normalerweise ihr Leben lebt, absurd. Der Hund wird uns zwar zeigen können, dass er die Anwesenheit der Person an dieser oder jener Stelle wahrnehmen kann, was uns aber nichts hilft, da wir das ohnehin wissen, wenn wir z.B. an die nähere Umgebung eines Altenheimes oder einer Schule denken oder aber auch nur an die nähere Umgebung des Wohnortes der vermissten Person.

Wie sieht es nun in Gegenden aus, in welchen sich diese Person normalerweise nicht aufhält?

Hier wird es interessant. Ab dem Zeitpunkt t ist der Hund noch bestenfalls in der Lage anzuzeigen, dass er Geruchspartikel dieser Person wahrnimmt. Aber in welche Richtung sie gelaufen ist, kann er demnach nicht mehr feststellen.

Dies könnte eine Erklärung für die These sein, dass es Hunden sehr wohl möglich sein soll, einen Trail auch rückwärts zu laufen [5], der Hund läuft ab dem Zeitpunkt t den Trail eigentlich weder "vorwärts" noch „rückwärts"; er zeigt bestenfalls nur mehr an, ob er noch etwas wahrnehmen kann oder nicht – analog zu einem Flächen-, Leichen-, Lawinen-, Betäubungsmittel- oder Sprengstoffsuchhund.

Alles Weitere ist reine Interpretation des zugehörigen Hundeführers. Jeder, der trailt, wird zugeben müssen, dass er in Situationen, in denen er nicht mehr sicher ist bzw. die Körpersprache seines Hundes entweder nicht mehr deuten kann oder ihr entnimmt, dass auch der Hund ins Schwimmen gerät, seinen Kopf benutzt und sich in die gesuchte Person hineinzuversetzen versucht und fieberhaft darüber nachdenkt, wo diese wohl hingegangen sein könnte. Sofern es sich um eine Trainingssituation handelt, versucht er sich in die Person zu versetzen, welche die zu suchende Person versteckt hat. Man kann sich gegen dieses Denken eigentlich nicht wehren. Vorstellungen zu Weg und Ziel sind immer präsent, einem selbst unbewusst. Und hier beginnt es tatsächlich interessant zu werden. Wir nehmen also an: Unbewusst und ungewollt beeinflussen diese Vorstellungen den Hund bei der Suche.

Welcher Bestandteil des menschlichen Individualgeruchs ist es, an dem sich die Hunde tatsächlich orientieren?

Ich tendiere dazu, die Frage anders zu formulieren, nämlich: Zu welchem Zeitpunkt ist welcher Bestandteil des menschlichen Geruchs für den Hund relevant? Ferner müssen wir auch die Umgebung in Betracht ziehen. Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal gilt hier zunächst, ob wir uns auf natürlichem Boden befinden, welcher Bodenverletzungen zulässt, oder nicht. Gehen wir von einer frischen Spur aus und liegt diese auf natürlichem Untergrund, wird der Hund sämtliche Komponenten menschlichen Geruches verwenden, um dieses Geruchsbild aufzuspüren, und auch jede verfügbare Bodenverletzung dazu heranziehen. Im Gegensatz dazu kann er sich in urbanen Gebieten nicht auf Bodenverletzungen verlassen und ist somit auf Hautzellen und den darauf befindlichen Schweiß, Mikroorganismen und ggf. anderen Komponenten wie Pheromone etc. angewiesen.

Wie aber bereits angedeutet, wird in jedem Fall der Faktor Zeit eine wesentliche Rolle dabei spielen. Dass der menschliche Geruch eindeutiger als ein Fingerabdruck ist, ist bewiesen [4] und muss nicht weiters diskutiert werden. Dass sich der Geruch ständig verändert, wie oben bereits dargelegt und zitiert, ebenso. Nun stellt sich zu allererst einmal die Frage: Wie lange ist denn der Individualgeruch als eindeutig zu betrachten?

Hunde sind in der Lage, eineiige Zwillinge, selbst wenn diese in ein und demselben Haushalt leben, zu differenzieren [6]. Das wurde nachgewiesen, indem ausgebildeten Hunden Geruchsproben der Zwillinge präsentiert wurden und sie diese korrekt zuordnen konnten. Die Frage aber ist: Wäre ihnen das auch noch gelungen, wenn wir die Geruchsproben nach Abnahme 12, 24, 36 oder 48 Stunden liegenlassen hätten, bevor sie dem Hund präsentiert wurden? Ich denke nicht. Alle vorhergegangenen Studien konnten nicht nachweisen, dass Hunde eineiige Zwillinge unterscheiden können, wenn die Zwillinge in ein und demselben Haushalt lebten. Diese Studie belegt nun, dass sehr wohl Unterschiede vorhanden sind, wir uns hier aber bereits im Grenzbereich des Machbaren bewegen.

Ich gehe davon aus – und hier bin ich nun hypothetisch, da mir noch keine diesbezüglichen Untersuchungen bekannt sind –, dass sich die Geruchsproben im Laufe der Zeit einander annähern werden. Wir also ab einem bestimmten Zeitpunkt dort ankommen, wo der Hund die Proben der Zwillinge noch von Proben anderer Personen unterscheiden kann, aber nicht mehr die Proben der Zwillinge voneinander. Und ebenso wird ein Hund nach einer gewissen Zeit bestenfalls noch „sagen“, er würde den Geruch einer männlichen erwachsenen Person wahrnehmen, diesen aber nicht mehr von anderen erwachsenen männlichen Personen differenzieren können. Und noch später riecht es vielleicht nur mehr nach Mensch, aber eine weitere Differenzierung ist nicht mehr möglich, da durch die stete Veränderung der Gerüche diese sich zu einer Art Einheitsbrei reduziert haben, was ihre Individualität betrifft. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, das vermag man noch nicht zu sagen, ich benenne ihn hier einmal mit t+x, da dies mit Sicherheit erst nach t sein wird.

Ein ähnliches Phänomen kann man nun für die Arbeit bei extrem niederen Temperaturen annehmen. Dass Hunde in der Lage sind, bei Kälte Menschen aufzuspüren, ist hinreichend bekannt, wir brauchen hier nur an Lawinenhunde zu denken. Allerdings gestalten sich hierbei die Umstände etwas anders. Der Mensch, der unter der Lawine begraben liegt, ist ja präsent, er ist da, und sollte er noch leben, atmet er und stößt warme Luft aus. Im Falle des Trailers ist er aber nicht mehr da, er war da, und alles, was von ihm am gegenwärtigen Ort zu finden ist, sind ein paar Moleküle seines Individualgeruchs.

Vorher muss zuerst einmal darüber nachgedacht werden, was Geruch eigentlich ist bzw. wann und unter welchen Umständen es denn überhaupt etwas zu riechen gibt, und das ganz unabhängig davon, wer riecht, Mensch, Hund oder Leguan.

Eine unabdingbare Bedingung zur Charakterisierung eines Riechstoffs ist seine Flüchtigkeit. Es muss sich ja etwas von einem Stoff ablösen können, damit es von jemandem gerochen werden kann. Flüchtigkeit ist demnach die Fähigkeit, in den Gaszustand überzugehen. Bis zu einer Molmasse von etwa 300 amu (atomic mass unit; wird bei der Angabe von Atom-und Molekülmassen verwendet. 1 mg entspricht über einen weiteren Umrechnungfaktor ca. 602.221.412.900.000.000.000 amu) können Moleküle flüchtig werden, was etwa der Menge von 20 Kohlenstoffatomen entspricht, da man in der Praxis pro Kohlenstoffatom noch zwei bis drei Wasserstoffatome hinzurechnen muss. [7] Ist ein Molekül schwerer als diese 300 amu, benötigen die Teilchen zuviel Energie, um bei durchschnittlicher Temperatur aus ihrem Verbund herausgelöst werden zu können. Wird die Temperatur erhöht, ist es auch schwereren Molekülen möglich, in den Gaszustand überzugehen, sinkt sie dagegen, dementsprechend nur mehr weniger schweren Molekülen. Darum duftet es in der Küche ja auch erst, wenn das Essen am Herd steht und nicht solange es im Kühlschrank liegt oder tiefgefroren ist.

Betrachten wir also einfache physikalische und chemische Grundgesetze, so wissen wir nun, dass es für einen Stoff schwieriger wird, “riechbar“ zu werden, je kälter es wird. Ferner wissen wir, dass die Aktivität der Mikroorganismen bei Temperaturen unter minus 15° Grad Celsius nahezu zum Erliegen kommt, weshalb Nahrung ja auch durch Gefrieren haltbar gemacht wird.

Nun gibt es hierzu die unbelegte These, dass dies für das Trailen nichts zu bedeuten habe, weil die Geruchsstoffe, sobald sie im olfaktorischen System des Hundes angekommen sind, dort ja wieder aufgetaut werden. Die Betonung liegt aber hierbei auf sobald. Betrachten wir also die Dinge einmal im Detail: Die einzelne Hautzelle, die vom Menschen abgestoßen wird, ist bei Minusgraden wesentlich wärmer als die Umgebung. Da bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt keine thermischen Luftströmungen zu erwarten sind wie im Sommer, plumpsen die Hautzellen – plakativ ausgedrückt und in Relation zu sommerlichen Temperaturen gesehen – regelrecht zu Boden. Dort treffen sie auf gefrorene Stoffe, welche bei Kontakt am Berührungspunkt minimalst antauen und sofort wieder gefrieren, was zu Folge hat, dass die Geruchsstoffe am Boden kleben bleiben und sich in weiterer Folge physikalisch nur mehr erschwert lösen lassen. Also müsste der Hund in diesem Falle wirklich mit extrem tiefer Nase suchen und dabei lange genug über jeder Stelle verharren, um mit der warmen Luft, die er ausatmet bzw. die seinen Körper umgibt, den Untergrund soweit zu erwärmen, dass sich die Riechstoffe gemäß den oben beschriebenen Gesetzmäßigkeiten wieder in den gasförmigen Zustand versetzen lassen, welcher unabdingbar für das Gerochenwerden ist.

Inwieweit wird der Hund bei der Suche vom Menschen beeinflusst?

Nun ergibt sich wie von selbst die immer wiederkehrende Frage: Aber wir finden doch mit unseren Hunden, auch wenn die Spuren alt sind, auch wenn die Temperaturen niedrig sind. Wie kann das denn dann sein?

Das ist nun der Zeitpunkt für die ewig Gestrigen, um auf den Tisch zu hauen und zu erklären, dass immer noch das Gefühl entscheidend ist, weil der Hund ein Individuum ist und man eben nicht alles mit der Wissenschaft erklären kann.

Es ist richtig, die Wissenschaft kann nicht alles erklären. Ich denke, ich habe bislang deutlich gemacht, wo es derzeit noch an Nachweisen fehlt, ich denke aber auch, dass ich klar gemacht habe, dass die Leistungen einer Hundenase sehr wohl Grenzen kennt. Hier verhält es sich so ähnlich wie mit der Religion. Keine der unterschiedlichsten Religionsströmungen kann den Beweis dafür erbringen, dass es einen (ihren) Gott gibt, und die Wissenschaft kann bestenfalls aufzeigen, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass ein solcher existiert. Die Frage ist nur: Bei wem liegt die Beweislast? Doch wohl bei dem, der zu erklären versucht, es gäbe einen Gott? Da kann es sich derjenige, wenn er schlau ist, leicht machen und sich auf den Standpunkt stellen, der Sinn des Ganzen läge gerade darin, zu glauben und nicht nach Beweisen zu suchen. Und als Beweis wartet er mit einer Vielzahl von Wundern auf, von denen sich in der gesamten Kirchengeschichte über die Jahrhunderte hinweg eine vorzeigbare Menge finden lässt.

Übertragen auf die Arbeit mit den Hunden, können die Wunder mit den Sucherfolgen einiger Veteranen oder auch aktiven Trailer gleichgesetzt werden, die darauf ihre gesamte Kompetenz begründen und nicht müde werden, auf ihre Erfolge und ihre Einsatzpraxis zu verweisen. Doch auf diesem Level zu diskutieren ist ebenso müßig wie einem streng gläubigen Katholiken klar machen zu wollen, dass wohl 99% aller Wunder aller Heiligen auf einfache natürliche Phänomene zurückzuführen sind. Mangels wissenschaftlicher Erkenntnisse, auf die wir heute in Hülle und Fülle Zugriff haben, um die Welt zu erklären, blieb in früheren Zeiten nichts anderes übrig, als das Unerklärliche zum Wunder und Werk Gottes zu erklären.

Ähnlich verhält es sich auch in unserem Fall. Die Forschung hat den Hund leider viel zu lange vernachlässigt, und so hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Bild ausgeprägt, welches ähnlich romantisch gezeichnet ist wie die landläufige Vorstellung vom Paradies.

Kommen wir aber wieder zurück auf die vermeintlichen Erfolge der Suchteams. Ich ziehe die Erfolge keineswegs in Zweifel, sind sie doch in den meisten Fällen dokumentiert und von Zeugenaussagen zu belegen, ich hinterfrage aber die angebliche Tatsache, dass es der Hund war, der in den meisten dieser Fälle gefunden hat.

Nehmen wir an, wir beginnen eine neue Disziplin, wie im vorliegenden Fall die Trailerei, zu lernen und stellen, je nach Manipulationsgenie und Charisma des jeweiligen Ausbilders sehr schnell Erfolge fest, welche uns glauben machen, dass der Hund hier seinen Job versteht und ganz exzellent verrichtet. Solange wir uns in einem Zeitrahmen kleiner t bzw. t+x bewegen, hat unsere Begeisterung auch ihre Berechtigung.

Wenn wir den Hund am Trail ausbilden, konditionieren wir ihn dabei aber auch auf unterschiedlichste Signale rund um ihn herum, ohne dass wir uns dessen bewusst sind und ohne dass dies gewollt wäre. Seien es nun die Trainingskollegen, welche uns auf unseren Übungs- und Lehrtrails immer auf Schritt und Tritt folgen, sei es unser eigenes Verhalten wie unsere Körpersprache und der Klang und Rhythmus unserer Schritte, während wir noch bekannte Trails laufen bzw. Trails laufen, bei denen immer Leute anwesend sind, die den Verlauf der Spur kennen oder zu kennen glauben.

Die Hunde lernen sehr schnell, bestimmte Muster im Verhalten der Begleitpersonen oder die geringfügig veränderte Schrittfrequenz ihres Menschen zu erkennen und „richtig“ zu interpretieren. Umso mehr, da wir alles dafür tun, mit dem Hund eine möglichst gute Bindung aufzubauen, die für die hochkommunikative Zusammenarbeit am Trail ja auch ausnehmend wichtig sein soll. Wie kommen wir dann eigentlich auf die Idee, dass nur wir den Hund „lesen“, er aber seine im Alltag hochtrainierte „Lesefähigkeit“ nach Belieben an- und ausknipst, wenn er bloß sein Trailgeschirr trägt? Die wenigen Hunde, die die Signale des Menschen hinter sich ignorieren, werden sich kaum in den Händen von Privatpersonen finden, weil sich das Leben mit ihnen sicher nicht besonders angenehm gestaltet.

Irgendwann gelangen wir dann – nehmen wir ruhig einen Realeinsatz an – auf einem „blinden Trail“, bei dem wirklich niemand weiß, wo es lang geht, in eine knifflige Situation. Die ganze Zeit über sind wir selbst natürlich ebenfalls ständig damit beschäftigt, uns zu fragen, wo es lang gehen könnte. Würde sich diese Frage nicht automatisch stellen, müssten wir ja schließlich nicht suchen, sondern könnten einfach hinmarschieren. Natürlich haben wir uns im Vorfeld über die Gewohntheiten der vermissten Person informiert – welche Orte sie häufig aufsucht, wo Freunde und Bekannte leben, welche Verkehrsmittel sie normalerweise benutzt etc. Und natürlich haben wir auch ortskundige Helfer dabei. Parallel zu unseren Überlegungen beobachten wir den Hund, „lesen“ ihn, und wenn wir glauben , an seiner Körpersprache ein entsprechendes Zeichen zu erkennen, folgen wir ihm weiter. Sobald wir uns dabei aber das erste Mal irren, biegen wir falsch ab und werden noch viele Kilometer hinter dem Hund herlaufen, nur eben ohne ans Ziel zu gelangen. Und wenn man sich die Erfolgsquoten so ansieht, so klingt das auch äußerst plausibel. Haben wir aber Glück und treffen während der gesamten Suche immer wieder richtige, wohlüberlegte Entscheidungen, so kommen wir letztendlich an. Natürlich sind wir davon überzeugt, dass es der Hund war, der uns ans Ziel geführt hat, und das stärkt natürlich unser Vertrauen in ihn und seine körpersprachlichen Signale ungemein, und weil wir es glauben wollen und gar nicht auf die Idee kommen, dass wir diese Person auch ohne Hund hätten finden können, wird die Tatsache völlig ignoriert, dass man sich mit großer Wahrscheinlichkeit schon jenseits von t und t+x befindet.

Damit verleihen wir den Hund eigentlich die Funktion eines antiken Orakels. Die Dinge wären ohnehin so gekommen, wie sie kommen mussten, aber das Orakel spielt hier natürlich eine wichtige Rolle, kann es doch nur durch eingeweihte Priester befragt werden. Und diese Position des in die Geheimlehre Eingeweihten hebt einen dann natürlich in die oberen Etagen innerhalb der eingangs erwähnten sozialen Netzwerke, in welchen man sich als aktiver Trailer befindet.

Noch kann ich die Gleichung nicht auflösen. Auch wenn ich keine exakten Werte für t und x präsentieren kann, so denke ich doch, dass die Gleichung an sich ihre Gültigkeit hat, und ich bin auch überzeugt davon, dass t und x wesentlich kleiner sind als von uns allen angenommen. Der Rest ist Glauben, und der betrifft, wie wir wissen, vor allem die Unendlichkeit.

(R.B.)

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[4]

[5] http://www.researchdogs.org/thesis/Contributed/reversesearch

[6]

[7] Riechstoffe, zwischen Gestank und Duft. Vieweg und Teubner, Prof. Dr. rer. physiol. Wolfgang Legrum, Uni Marburg